972 Breakdowns? Micha, ein Freund von mir mit eigener Motorradwerkstatt, ist nur am Schimpfen, wenn es um des Russen liebstes Motorrad, die Ural geht.
„Man merke“, so seine Meinung (und er ist normalerweise kein Mann der platten Klischees), „dass da Bauern am Werk waren. Alles, wirklich alles, ist von schlechter Qualität an diesen Maschinen. Das Blech, der Motor, alles.“
Warum ich diese Info mit euch teile? Nun, die Protagonisten der Reisedokumentation ‚972 Breakdowns – Auf dem Landweg nach New York‚ hätten sich, mit dieser Vorabinformation eines professionellen Schraubers, sicherlich einiges an Ärger ersparen können. Allerdings wäre dann am Ende wohl keine so mitreißendes filmisches Werk entstanden, welches gerade durch die Tiefen und deren Überwindung etwas ganz Besonderes geworden ist. Ganz zu Schweigen von dem treffendsten Titel ever. Aber von Vorne.
Einfach machen!
Anne, Efy, Elisabeth, Johannes und Kaupo, vier Kunststudenten aus Halle begeben sich nach ihrem Studienabschluss auf eine außergewöhnliche Reise. Der Plan: Auf dem Landweg von ihrer Studienstadt nach New York.
Immer gen Osten. Kasachstan, Mongolei, Russland über die Road of Bones, durch Alaska, nach Kanada bis an die US-Ostküste soll es gehen.
40.000 Kilometer liegen vor Ihnen. Die Vehikel ihrer Wahl: vier russische Ural 650. Mit Beiwagen, versteht sich. Man hat ja sonst keine Probleme.
Klingt unkompliziert? Mitnichten. Dennoch gehen die Fünf ihr Vorhaben erfrischend entspannt an. Führerscheine müssen gemacht werden, man ist schließlich vorher noch nie Motorrad gefahren.
Holy Shit! Da schlagen die Adventurebiker bereits die Hände über dem Kopf zusammen. Geht gar nicht. Erstmal üben.
Glücklicherweise finden sich aber auch heute noch in den theoretischen Aufgaben einer Zweiradführerscheinprüfung genügend Fragen zum Fahren mit einem Beiwagen. Bisschen antizipieren, dann geht das. Kann also eigentlich nichts schief gehen. Bei 90% Bedenkenträgern in der Welt, eine erfrischende Herangehensweise der jungen Abenteurer. Oder naiv. Wie man es eben auslegen möchte. Wir tendieren zu Ersterem.
Lösungsorientiertes Reisen
Einfach mal machen! Also werden die Sachen gepackt, Tonnenweise Ersatzteile verladen und ab geht die Post (die Visabeantragungen, etc. lass ich an dieser Stelle mal weg).
Vom ersten Moment der Reise – und die erste Panne lässt nicht lange auf sich warten – ist es beeindruckend mit welcher Chuzpe das Team die Sache angeht. So zieht es sich über die ganze Dokumentation.
Ohne zu viel zu verraten, aber egal, wie beschissen die Lage, wie schwer der Schaden, wie heftig der Unfall, wie verzweifelter die Lage, wie groß der Hunger, wie Scheiße das Wetter, die drei Mädels und zwei Jungs bleiben cool. Erstmal eine Rauchen. Wir finden eine Lösung.
Es ist wirklich erstaunlich mit wieviel Ruhe und Gelassenheit allen Widrigkeiten getrotzt wird.
Wie viele Momente, die 90% von uns als Vorwand für einen Abbruch der Reise genutzt hätten, durch Einfallsreichtum und Teamwork überwunden werden.
Das geht bis zu 1800km langen Flussfahrten mit selbstgebauten Bootsschrauben für die Urals, welche die Gruppe während eines längeren Aufenthalts in Kanada konstruiert hat. Klar, warum auch nicht!
Ich will mir gar nicht ausmalen, was die Menschen an Land oder in entgegenkommenden Booten gedacht haben, als Ihnen vier Urals mit ebenso vielen Deutschen und einem Finnen auf dem Wasserweg entgegenkamen. Ahoi, wie geht’s. Schönes Wetter zum Motorradbootfahren. Allein die Idee ist so irre, dass man vor Bewunderung nur den Kopf schütteln kann. Als sie während der Fahrt merken, dass man zwar jetzt einen Antrieb hat um Vorwärts zu kommen, aber die Lenkung fehlt, um die, zu einem großen Floss zusammengebundenen Urals, zu steuern…. Unfassbar. Also, unfassbar geil.
Einfach mal machen und schauen, was passiert.
Ich bin mit nicht einmal sicher, ob sie vorher den Flusslauf nach etwaigen Gefahren, wie Wasserfällen gecheckt haben. Habe da aber echte Zweifel. Aber wird schon. Einfach mal loszufahren und zu schauen, was passiert. Motivierender geht es kaum. Braucht nicht viel. Nur gute Ideen. Die Long Way Reihe ist dagegen lame und ideenlos. Sorry Ewan.
Arm ist, wer keine Ideen hat.
Am Ende waren Anne, Efy, Elisabeth, Johannes und Kaupo insgesamt drei Jahre gemeinsam unterwegs.
972 Pannen hat es gebraucht, um wieder Zuhause anzukommen. Hätten sie meinen Kumpel Micha vorher konsultiert, wären sie wohl nie losgefahren.
Zumindest nicht mit Urals. Hätten sofort angefangen auf Lehramt zu studieren – was Sicheres eben – und den Trip ihres Lebens verpasst. Uns wäre damit eine der besten Motoradreisefilme aller Zeiten entgangen, die auch in ihrer filmischen Umsetzung, über die erzählerische Ebene, den tollen Animationen und Einspielern, heraussticht. Mutig und inspirierend. Ohne das übliche Biker-Tralala. Ihr könnt einfach einsteigen und losfahren. Was für ein geiler Trip.
Trailer zum Film:
Mehr Infos zu:
972 Breakdowns – Auf dem Landweg nach New York
Fotos: leavinghomefunktion